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Essay: Über das schlechte Gewissen (und warum es nichts bringt)

Hendrik von Küste gegen Plastik

Neulich war es wieder soweit. „Das ist doch in Plastik verpackt. Sowas darfst du doch nicht mehr kaufen!“, sagte der Besuch in der Küche stehend mit kritischem Blick in den Kühlschrank. Noch während ich mir Worte der Erwiderung und der Rechtfertigung zurechtlege, schießt mir ein Gedanke durch den Kopf: Wieso soll ich mich überhaupt rechtfertigen?

Menschen, die sich – in welchen Bereichen auch immer – engagieren, werden das Phänomen kennen. Aufgrund des Engagements scheint es manchmal, als würden Personen um einen herum geradezu danach suchen, einen Widerspruch im Handeln zu finden. Noch ausgeprägter ist es bei Leuten, die das Ziel des Engagements ablehnen. Hier wirkt es fast schon so, als würde die vorgeblich aufgedeckte Doppelmoral enthusiastisch zelebriert werden.

Warum ist das so? Hier kommt der häufig bemühte „moralische Zeigefinger“ ins Spiel. Engagement und Aktivismus sind immer eng verknüpft mit dem Hinweisen auf Missstände. Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen dieses Hinweisen jedoch auf sich selbst beziehen. Wenn also beispielsweise das Fliegen als Umweltsünde bezeichnet und mit für den Klimawandel verantwortlich gemacht wird, haben einige Menschen den Eindruck, ihnen werde das Fliegen verboten und die Kritik richte sich direkt an sie. Ihnen werde also kurz gesagt der moralische Zeigefinger entgegengebracht. Und: Ihre identitätsstiftende Art zu leben, wird kritisiert und damit sie als Person. Leider koppeln wir in dieser Gesellschaft Konsum und Identität und Persönlichkeit sehr eng. Da wir in einer Personality- und nicht mehr in einer Charakterkultur leben, berührt das bei Vielen quasi den Kern des Selbst. Daher die oft sehr harschen Reaktionen á la „Fuck you Greta“-Aufkleber auf dem 200-PS-BMW.

Menschen reagieren auf empfundene Kritik meist in Form von zwei Handlungen: Entweder sie schlagen zum Gegenangriff aus oder sie versuchen, sich zu rechtfertigen. Beides ist problematisch. Denn mit dem Gegenangriff verabschiedet sich häufig auch die sachliche Debatte. Um beim Beispiel des Fliegens zu bleiben, sind uns allen die Kommentare bspw. über FridaysForFuture im Ohr. „Mit dem Elterntaxi direkt vor die Schule gefahren werden, alle zwei Jahre ein neues Smartphone und jede neue Modekollektion mitnehmen – fangt erstmal bei euch selbst an!“. Neben der Tatsache, dass bei solchen Kommentaren natürlich unzulässig von einigen auf alle geschlossen wird, beschränkt diese Form der Debatte die Möglichkeiten, ein konstruktives Ende zu finden.

Denn natürlich könnte man auch darüber diskutieren, warum so viele Menschen auch kürzere Strecken mit dem Flugzeug zurücklegen. Wieso ist zum Beispiel das Angebot an Nachtzügen so sehr zurückgefahren worden? Warum ist die Ladeinfrastruktur für E-Mobilität noch nicht so ausgebaut, dass man seinen Urlaub selbstverständlich mit dem E-Auto verbringen kann – ohne vorherige Recherche nach Ladestellen? Kurzum: Wie steht es eigentlich um die Alternativen?

Manchmal spielen diese Fragen bei der Rechtfertigung eine Rolle; zumindest, wenn mit mangelnden Alternativen argumentiert wird. Dennoch, hier ist das Problem, dass viel zu häufig auf individuelles Handeln geguckt wird, anstatt systemische Fehler in die Betrachtung mit einzubeziehen.

Was hat all das jetzt mit meinem anfangs erwähnten Besuch und dem schlechten Gewissen, welches nichts bringt, zu tun?

Der Beginn der ReplacePlastic-Kampagne bestand insbesondere im Hinweisen auf Missstände: Per Scan versuchen wir noch immer, Verbraucher*innen-Feedback sichtbarer und hörbarer zu machen. Das war wichtig. Das ist wichtig. Das wird wichtig bleiben. Aber: Seit Anfang des Jahres wurde die Kampagne vor allem dadurch erweitert, dass der Fokus jetzt auch auf dem Aufzeigen von Alternativen liegt. Denn die Alternativen zeigen, dass andere Lösungen möglich sind und üben so Druck auf Anbieter aus, ihre Verpackungskonzepte zu überdenken. Und wir haben die Funktion der so genannten Listungswünsche implementiert: per Angabe der eigenen Postleitzahl lassen sich Produkte in einem Markt vor Ort wünschen. So können Nutzer den Anbietern zeigen, dass der Bedarf nach plastikfrei verpackten Alternativen in der Breite des Sortiments vorhanden ist und es sich nicht bloß um Nischenprodukte handelt.

Denn anstatt meinem Besuch vorwurfsvoll zu entgegnen: „Immerhin achte ich überhaupt darauf, was ich so einkaufe – dir ist der Planet ja mal wirklich völlig egal“ oder mich in Rechtfertigungen zu üben, das sei ja nur eine Ausnahme oder Ähnliches, haben wir schlussendlich das Problem gemeinsam diskutiert. Warum gibt es eigentlich so wenig Produkte in Mehrweg-Verpackungen? Warum tragen vor allem große Unternehmen kaum Produktverantwortung im ganzheitlichen Sinne – also unter Einbezug aller Produktions- und auch Entsorgungsprozesse? Warum ist Plastik immer noch so billig, obwohl wir die Folgen der Umweltschäden durch Plastik alle bezahlen müssen?

Und so waren wir uns nach einiger Zeit einig, dass es selbstverständlich immer lohnenswert ist, auch das eigene Verhalten zu reflektieren und vielleicht Stück für Stück anzupassen. Gleichzeitig haben wir aber auch bemerkt, dass eine echte Entscheidungsfreiheit in vielen Fällen gar nicht gegeben ist. Es ist zwar wichtig, im eigenen Rahmen zu handeln; Unternehmen und Anbieter dürfen aber nicht aus der Verantwortung gelassen werden.

Eine der ersten großen Kampagnen für den Umweltschutz in den USA war „Keep America Beautiful“ – initiiert zum Beispiel von Unternehmen aus der Verpackungsindustrie. „People start pollution, people can stop it“, war damals der Slogan. Von den Unternehmen war auf einmal keine Rede mehr.

Aber: Plastik, das gar nicht erst produziert wird, kann auch keine Umweltbelastung werden. Ein Schelm, wer bei solchen Kampagnen wie „Keep America Beautiful“ unterstellt, man wolle sich das schlechte Gewissen der Menschen zunutze machen und von sich selbst ablenken.

Inzwischen gibt es wieder Unternehmen, die die Notwendigkeiten verstanden haben und ihre eigene Verantwortung wahrnehmen.

Eine Übersicht über Unternehmen, die schon mit positivem Beispiel vorangehen, gibt’s hier.

Die ReplacePlastic-App gibt es im AppStore und bei Google Play.

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